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Prof . Dr. Rainer Wernsmann

Vorlesung Grundrechte – Universität Trier – 09.01.2012. Vorlesung Einführung in das Staatsrecht – Grundrechte Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG). Prof . Dr. Rainer Wernsmann. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG). Bedeutung des Art. 8 GG Schutz der Kommunikation des Einzelnen mit anderen

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  1. Vorlesung Grundrechte – Universität Trier – 09.01.2012 Vorlesung Einführung in das Staatsrecht – Grundrechte Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) Prof. Dr. Rainer Wernsmann

  2. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) • Bedeutung des Art. 8 GG • Schutz der Kommunikation des Einzelnen mit anderen • wie z.B. auch durch Art. 5 I und 9 I GG • Kommunikation für eine demokratische Ordnung schlechthin konstituierend • Einschränkung der Grundrechtsträgerschaft auf Deutsche historisch durch den Bezug der Kommunikationsgrundrechte auf die demokratische Mitwirkung (Wahlrecht) zu erklären (ursprünglich auch Meinungsfreiheit, Art. 118 WRV, auf Deutsche begrenzt) 2 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

  3. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) • II. Schutzbereich • 1. Persönlicher Schutzbereich • nur Deutsche (Art. 8 I GG) • entgegen dem Wortlaut auch EU-Ausländer: • Anwendungsvorrang des Unionsrechts (Art. 18 AEUV verbietet Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Anwendungsbereich des Vertrages) • Vgl. BVerfG v. 19.07.2011, 1 BvR 1916/09, www.bverfg.de (zu Art. 19 III GG) • Andere Ausländer nur durch Art. 2 I GG geschützt (str.) • Juristische Personen (z.B. als Veranstalter)? Art. 19 III GG prüfen 3 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

  4. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) • 2. Sachlicher Schutzbereich • a) Sich-Versammeln • Voraussetzungen einer Versammlung • Mindestteilnehmerzahl: sieben? drei? zwei? (str.) • innere Verbindung (gemeinsame Zweckverfolgung) • (-) bei bloßer Ansammlung (z.B. Schaulustige, Theaterbesucher) • Problem: Muss gemeinsamer Zweck in gemeinsamer Meinungsäußerung betreffend Erörterung öffentlicher Angelegenheiten liegen? (str.; so jetzt BVerfG) • (-) bei Hauptversammlung der Aktiengesellschaft oder wissenschaftlicher Tagung • (+) bei Flashmob wegen Alkoholverbots in S-Bahn 4 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

  5. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) • b) Friedlich und ohne Waffen • Begrenzung des Schutzbereichs • Bei Mitführung von Waffen also kein Grundrechtsschutz nach Art. 8 I GG (wohl aber nach Art. 2 I GG, h.M.) • Begriff der Waffen: • Waffen iSd § 1 WaffG • Gefährliche Werkzeuge, jedenfalls soweit zum Zwecke des Einsatzes mitgeführt • (-) sog. passive Bewaffnung (Helme, Gasmasken, Schutzbrillen, Vermummung) 5 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

  6. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) • Begriff „friedlich“ • Nicht schon unfriedlich bei Straftaten oder sonstigem Handeln Einzelner • Def.: Versammlung darf keinen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nehmen • Gewalttätig = wenn aktive körperliche Einwirkung auf Personen oder Sachen von einiger Aggressivität und Erheblichkeit erfolgt oder unmittelbar droht • Aufrührerisch = mit Widerstand gegen rechtmäßig handelnde Vollstreckungsbeamte • nichtunfriedlich: Sitzblockade, Anketten (BVerfGE 106, 92, 106) 6 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

  7. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) • c) Geschütztes Verhalten • Vorbereitung (Planung, Werbung, An- und Abreise) • Wahl des Versammlungsorts und der –zeit • Durchführung einer Versammlung dort, wo allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist • Wahl der Bekleidung (Uniform) (str., a.A. BVerfGE 57, 29) • Teilnahme an der Versammlung • auch Spontanversammlung (ausgelöst ohne Einladung oder Organisation durch aktuellen Anlass) • Nichtteilnahme an einer Versammlung (sog. negative Versammlungsfreiheit) • Nicht geschützt: Sprengung einer anderen Versammlung • Achtung: Inhalte von Meinungsäußerungen sind durch Art. 5 I GG geschützt, Art. 8 I GG ist insoweit nicht Prüfungsmaßstab (so BVerfG) 7 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

  8. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) • III. Rechtfertigungsbedürftiger Eingriff • Klassische Eingriffe (d.h. regelnd, final, unmittelbar, mit Befehl und Zwang durchsetzbar) • Beispiele: • Versammlungsverbot, Auflösung der Versammlung etc. • Erfordernis von Anmeldung bzw. Erlaubnis • Auflagen (Mitführen von Fahnen, Zugverlauf etc.) • 2. Faktische Eingriffe bei Überschreiten der Eingriffsschwelle • Beispiele: • Behinderungen bei An- und Abfahrt, Übertönen von Sprechchören etc. • Überwachungsmaßnahmen (z.B. Filmen und Speichern)  • Einschüchterungs-/Abschreckungseffekt? • Einwirkung auf Willensbildung hinsichtlich Teilnahme 8 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

  9. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) • IV. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs - Überblick • Normebene: Einschränkung nur durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes möglich (Art. 8 II GG) • Existenz einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage (Schranke), insbesondere VersG • b) Verfassungsmäßigkeit dieses Gesetzes (Schranken-Schranken) • aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit (Gesetzgebungskompetenz, Gesetzgebungsverfahren) • bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit (insbes. Verhältnismäßig-keit, Zitiergebot, Bestimmtheit) • 2. Anwendungsebene • (Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im Einzelfall) 9 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

  10. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) • V. Schranken der Versammlungsfreiheit • Differenzierung hinsichtlich Einschränkbarkeit zwischen Versammlungen in geschlossenen Räumen und solchen unter freiem Himmel • Bsp.: S-Bahnhof, Fußballstadion, Räume im Innern des Flughafens • Begriff „unter freiem Himmel“ (Art. 8 II GG) •   Wortlaut: nicht überdachtes Stadion fällt unter Art. 8 II GG; • Aber Sinn und Zweck: Es geht nicht um Schutz vor Regen, sondern um Gefahr von Konflikten mit anderen • Also: weder Überdachung noch seitliche Umschlossenheit maßgeblich für Einschränkbarkeit nach Art. 8 II GG, sondern „Auseinandersetzung mit einer unbeteiligten Öffentlichkeit“ (BVerfG v. 22.02.2011 – Fraport) 10 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

  11. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) Schrankensystematik • Versammlungen unter freiem Himmel • Versammlungen in geschlossenen Räumen Einschränkbar durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes (einfacher Gesetzesvor-behalt, Art. 8 II GG) grundsätzlich vorbehaltlos gewährleistet, Einschränkungen nur möglich zum Schutz kollidierenden Verfassungsrechts (sog. verfassungsimmanente Schranken) Auch insoweit Konkretisierung durch Gesetz nötig Grund: Verfassungsgeber sah kein Konfliktpotential mit anderen Rechtsgütern 11 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

  12. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) • Schranken der Versammlungsfreiheit • Gesetzesvorbehalt nach Art. 8 II GG • Bisher vor allem VersG (= Bundesgesetz) • Versammlungsrecht jetzt Sache der Länder (Art. 70 GG) • Vor der Föderalismusreform I (2006) konkurrierende Gesetz-gebung des Bundes, Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 a.F., Art. 72 Abs. 2 GG • Fortgelten des VersG nach Art. 125a Abs. 1 GG mit Ersetzungsmöglichkeit durch die Länder • Auch Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder, Feiertagsgesetze, Bannmeilengesetze; § 903, 1004 BGB (Hausrecht) • b) Weitere Einschränkungsmöglichkeit nach Art. 17a GG • Insoweit auch Einschränkung von Versammlungen in geschlossenen Räumen möglich, z.B. für Soldaten in Uniform bei politischen Veranstaltungen (§ 15 III SG) 12 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

  13. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) • VI. Sog. Schranken-Schranken • = Beschränkungen, denen der grundrechtseinschränkende Gesetzgeber unterliegt • Allgemeine: insbes. Verhältnismäßigkeit • Zitiergebot (Art. 19 I 2 GG; gilt nicht für §§ 903, 1004 BGB) • Bestimmtheit • Besondere Schranken-Schranke der Anmelde- und Erlaubnisfreiheit; vgl. Wortlaut des Art. 8 I GG? (so hM) • Anmeldung nur als Obliegenheit, nicht als Pflicht ausgestaltbar • automatische Auflösung bei Nichtanmeldung wäre verfassungswidrig 13 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

  14. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) • VII. Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesanwendung im Einzelfall, insbesondere Verhältnismäßigkeit • 1. Legitimer Zweck • insbesondere Gefahrenabwehr • 2. Eignung des Mittels zur Zweckerreichung • 3. Erforderlichkeit des Mittels zur Zweckerreichung • Gibt es ein gleich geeignetes, milderes Mittel? • Auflagen und Kontrollen sind mildere Mittel gegenüber Verbot (§ 15 I VersG) und Auflösung (§ 15 II VersG), Verbot daher ultimaratio • Einvernehmliche Lösungen mit Veranstaltern der Versammlung sind mildere Mittel als einseitige hoheitliche Maßnahmen 14 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

  15. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) • 4. Angemessenheit des Mittels • Versammlungsfreiheit überwiegt Interesse an Vermeidung normaler, als Nebenfolge unbeabsichtigter Verkehrsbehinde-rungen, Umsatzeinbußen bei Läden und Cafés am Weg des Zugs • Versammlungsverbot kann nicht allein auf die öffentliche Ordnung gestützt werden (BVerfG; a.A. OVG NRW zu Nazi-Aufmärschen); Ausnahme: Einschüchterung; Schutz von Symbolen der Erinnerung an Verbrechen des Nationalsozialismus vor Provokation, z.B. hinsichtlich Zeit (Holocaust-Gedenktag) oder Ort (Gedenkstätten) • Exzessive Observation unzulässig • Belastung allein des Versammlungsleiters mit hohen Straßenreinigungsgebühren unangemessen 15 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

  16. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) • VIII. Grundrechtsfunktionen des Art. 8 GG • Abwehrrecht • Staat muss verfassungswidrige Eingriffe unterlassen (und Nutzung der öffentlichen Straße u.ä. ermöglichen) • Schutzpflicht • Staat muss Demonstranten vor Angriffen von Gegnern schützen • Kein Leistungsrecht • Staat muss nicht die Demonstration (z.B. Transport) finanzieren • Teilhaberecht • Wenn Stadt ihre Halle für politische Versammlungen zur Verfügung stellt, vermittelt Art. 3 I GG einen Anspruch auf Teilhabe • Grundrechtsschutz durch Verfahren • Effektiver (vorläufiger) Rechtsschutz (Art. 19 IV GG), ggf. Rechtsschutz auch nach Erledigung der Maßnahmen 16 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

  17. Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) • Wiederholungs- und Vertiefungshinweise • Literatur: • Hufen, Staatsrecht II, 3. Auflage 2011, § 30; • Ipsen, Staatsrecht II, 14. Auflage 2011, § 12; • Pieroth/Schlink, Grundrechte, 27. Auflage 2011, § 17 • Rechtsprechung: • Grundlegend zu Art. 8 GG: BVerfGE 69, 315 – Brokdorf • Aktuelle Entscheidungen: BVerfGE 122, 342 (Bayerisches Versammlungsgesetz; einstweilige Anordnung); BVerfG v. 22.02.2011, 1 BvR 699/06, www.bverfg.de – Fraport (Demonstration im Flughafen) • Europäischer Grundrechtsschutz: Art. 12 GRCh und Art. 11 EMRK 17 Prof. Dr. Rainer Wernsmann – Universität Passau

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