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Deutsche Literatur von Goethe bis Nietzsche. German 71. Gottfried Keller Romeo und Julia auf dem Dorfe (1856).
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Deutsche LiteraturvonGoethe bisNietzsche German 71
Gottfried Keller • Romeo und Julia auf demDorfe(1856) • Stammteinem oft satirischenNovellenzyklus in zweiTeilen (zehnNovellen)Die Leute von Seldwyla: Keller nennetsieLebensbilder und sieenthaltenauch die NovelleKleidermachenLeute. • Gilt alsexemplarishfür die Stilrichtung des bürgerlichenoderpoetischenRealismus: eine von der VormärzliteraturgeprägtePeriodezwischen 1850 und 1890 in deutscherLiteratur, eineangeblichobjektiveBetrachtung der Welt, humoristisch und detaillreich, problematisiertsehr oft den KonfliktzwischenIndividuum und Gesellschaft, die Lebensumstände des Proletariats (des Bürgertums), VerklärungnichtdurchSozialkritiksonderndurchÄsthetisierung.
Edith A. Runge • Monatshefte(1960) „Während Gottfried Keller im Winter 1848-1849 in Heidelberg weilte, hielt der atheistische Religionsphilosoph Ludwig Feuerbach im dortigen Rathaussaal seine berühmten Vorlesungen über das Wesen der Religion. [Keller fand] in Feuerbachs Lehre die philosophische Formulierung dessen, wonach es ihm längst verlangt hatte: die entschlossene und freudige Bejahung des Diesseits, auf Grund eben der Einmaligkeit und Abeschlossenheit des irdischen Daseins. (...) Von nun an legt Keller den Akzent auf das Hier, welches eben durch seine Einmaligkeit bedeutender, wichtiger und leuchtender wird; deshalb soll es auch als wertvoller betrachtet und möglichst tief, ernst und schön gelebt werden. (...) Dies alles ist freilich wohlbekannt. Was uns aber ein vielsagendes, ja ein markantes Beispiel der Eigenart des künstlerischen Schaffens liefert, ist die Tatsache, dass Keller diese seine Weltanschauung in Romeo und Julia auf dem Dorfe ins Bild und in die notwendige Tragik der Handlung verwandelt. Sie geht im Künstlerischen, in Bild und Form auf.“
Derek Hillard • Monatshefte(2009) Hillard bezeichnet eine Diskurs der Aufopferung als die Fortsetzung des romantischen Mythos im angeblichen Realismus des späteren 19. Jahrhunderts: „In the nineteenth century then there is a strain of sacrificial literature that needs to be explored. The issue is why these texts turn to sacrifice narratives. The question how to construct a history of sacrifice in nineteenth-century German literature would be an intriguing undertaking. This study explores in detail the novellas Romeo und Julia and Der Schimmelreiter. In these two texts, sacrifice is a means to do the following: 1) to delimit and direct violence, in the midst of situations where it could be destructive on a grand scale; 2) to generate myth and ritual in the social sphere; 3) to demonstrate how community is engendered. (…) In the case of Romeo und Julia the sacrificial concern is with the rejuvenation of an enigmatic and aesthetic space that preserves the excluded being but does so in a form that is unusable for society.“
Peter C. Pfeiffer • Germanic Review (1995) „Obgleich Romeo und Julia auf dem Dorfe wie keine andere Novelle Kellers zu entgegengesetzten Auslegungen Anlaß gab, stimmen doch beinahe alle Interpreten mit Walter Benjamins Diktum überein, daß ‚aus dem gebrochenen Eigentumsrechte an einem Acker ein vernichtendes Schicksal hervorgeht‘, daß also die Väter Marti und Manz den Anlaß für diese ‚reine bürgerliche Tragödie‘ geben, der die ‚unschuldigen Kinder‘ Sali und Vrenchen schließlich ins Verderben reißt. Die Puppenszene wird dementsprechend als ‚Kindheitsidylle‘, als ‚Inbild friedlicher Unschuld‘ und ähnliches bezeichnet. Ich möchte dagegen vorschlagen, die Puppenszene als Reflexion auf die Modalitäten literarisch-kultureller Produktion zu lesen, die in einer Allegorie auf die literarische Repräsentation gipfelt und diese mit Schuld zeichnet. Dabei bieten Kellers Vorstellungen zur Zirkulation von ‚Fabeln‘ im historisch-sozialen Prozeß, wie sie die einleitenden Sätze der Novelle programmatisch ansprechen, den Rahmen.“
Peter C. Pfeiffer • Germanic Review (1995) „Die Novelle besteht aus drei verschiedenen Fassungen dieses Stoffes: dem Titel, der auf die Traditio—und besonders Shakespeares Tragödie—verweist, Kellers Fassung und, im letzten Absatz der Novelle, aus der Paraphrase jenes Berichts aus der Züricher Freitagszeitung vom 3. September 1847, der Keller zu seiner Novelle anregte und der in streng-moralischer, bürgerlicher Perspektive den Doppelselbstmord zweier Liebender kritisiert. Dabei gibt es keine Urfassung, vielmehr basieren alle drei Fassungen auf der einen archaischen, innerhalb der Menschheitsgeschichte unveränderlichen Grundsituation, die in verschiedensten Ausformungen in der Kultur zirkuliert und in dauerndem Austausch zwischen Hochkultur und Alltagskultur steht. (...)Wenn es sich bei Kellers Novelle tatsächlich um ein Musterbeispiel des ‚gesunden Realismus‘ handelt, wie ihn Berthold Auerbach in seiner Rezension gleich zweimal bemühte, oder doch wenigstens zur Hälfte um einen realistischen Text, wie Fontane meinte, dann wäre zu untersuchen, wie die realistische Literaturproduktion innerhalb der "Dialektik der Kulturbewegung" abläuft. Ich meine, daß man die Puppenszene als Antwort auf diese Frage verstehen kann. Die Veränderungen, denen die Puppe durch das Spiel der Kinder unterliegt, wären als verschiedene historische Stadien der Kunstproduktion zu verstehen, die in einer Allegorie auf die realistische Kunst mündet. Dabei kommen zwei gegenläufige, aber synchron ablaufende Prozesse zum tragen, ein konstruktiver und ein destruktiver. Einerseits wird die Puppe immer wieder in neue Gestalten gebracht; andererseits unterliegt ihre mimetische Repräsentationskraft gerade durch die wiederholten Neuformungen einer zunehmenden Abnutzung und Desintegration.“
Theodor Storm • Abseits(1848) Es ist so still; die Heide liegt Im warmen Mittagssonnenstrahle, ein rosenroter Schimmer fliegt Um ihre alten Gräbermale; Die Kräuter blühn; der Heideduft Steigt in die blaue Sommerluft. Laufkäfer hasten durchs Gesträuch In ihren goldnen Panzerröckchen. Die Bienen hängen Zweig um Zweig Sich an der Edelheide Glöckchen, Die Vögel schwirren aus dem Kraut -Die Luft ist voller Lerchenlaut. Ein halbverfallen, niedrig Haus Steht einsam hier und sonnbeschienen, Der Kätner lehnt zur Tür hinaus, Behaglich blinzelnd nach den Bienen; Sein Junge auf dem Stein davor Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr. Kaum zittert durch die Mittagsruh Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten; Dem Alten fällt die Wimper zu, Er träumt von seinen Honigernten. -Kein Klang der aufgeregten Zeit Drang noch in diese Einsamkeit.
Theodor Storm • Die Stadt(1852) Am grauen Strand, am grauen Meer Und seitab liegt die Stadt; Der Nebel drückt die Dächer schwer, Und durch die Stille braust das Meer Eintönig um die Stadt. Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai Kein Vogel ohn` Unterlaß; Die Wandergans mit hartem Schrei Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei, Am Strande weht das Gras. Doch hängt mein ganzes Herz an dir, Du graue Stadt am Meer; Der Jugend Zauber für und für Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir, Du graue Stadt am Meer.