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ÜBUNGEN IM HAFTPFLICHTRECHT FS 2012 THEMA IV: VERSCHULDEN

ÜBUNGEN IM HAFTPFLICHTRECHT FS 2012 THEMA IV: VERSCHULDEN. Dr. iur. Thomas Grieder Fachanwalt SAV Haftpflicht- und Versicherungsrecht www.haftpflichtanwalt.ch. Inhalt. 1. Einführung 2. BGE 102 II 363 ff. („Gymnasiastin“) 3. B GE 130 III 193 ff. („Pistenrand“). Haftungsarten.

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ÜBUNGEN IM HAFTPFLICHTRECHT FS 2012 THEMA IV: VERSCHULDEN

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Presentation Transcript


  1. ÜBUNGEN IM HAFTPFLICHTRECHT FS 2012THEMA IV: VERSCHULDEN Dr. iur. Thomas Grieder Fachanwalt SAV Haftpflicht- und Versicherungsrecht www.haftpflichtanwalt.ch

  2. Inhalt 1. Einführung 2. BGE 102 II 363 ff. („Gymnasiastin“) 3. BGE 130 III 193 ff. („Pistenrand“)

  3. Haftungsarten Verschuldenshaftung - OR 41 I - ZGB 52 II i.V.m. OR 41 I (Organhaftung) Kausalhaftungen Einfache Kausalhaftung: - OR 56 (Tierhalterhaftung) - OR 58 (Werkeigentümerhaftung) - PrHG 1 (Produktehaftung) Gefährdungshaftung: - SVG 58 I (Haftung des Motorfahrzeughalters

  4. Verschulden Begriff Das Obligationenrecht definiert den Begriff des Verschuldens nicht. Das Verschulden ist eine Qualifikation menschlichen Verhaltens. Schuldhaft ist ein Verhalten, wenn es dem Handelnden zum Vorwurf gereicht. Der Vorwurf gründet darauf, dass der Haftpflichtige in der gegebenen Situation anders hätte handeln sollen und können, dass er sich also falsch verhalten hat, obgleich es ihm möglich gewesen wäre, sich richtig zu verhalten.

  5. Verschulden Funktionen Haftungsbegründende Funktion bei der Verschuldenshaftung (OR 41 I) Haftungsausschliessende Funktion im Rahmen der Kausalität (grobes Drittverschulden, grobes Selbstverschulden) Haftungsmildernde Funktion bei der Bemessung von Schadenersatz und Genugtuung (OR 44 I)

  6. Verschulden Die Beurteilung des Verschuldens erfolgt in zwei Schritten, wobei in einem ersten Schritt die Fähigkeit, sich schuldhaft zu verhalten (Anderskönnen), und in einem zweiten Schritt die Schuldhaftigkeit des Verhaltens (Anderssollen) abgeklärt werden: Subjektive Seite - Urteilsfähigkeit (ZGB 16) -> BGE 102 II 363 Objektive Seite - Vorsatz - Fahrlässigkeit -> BGE 130 III 193

  7. Fall 1: BGE 102 II 363 Sachverhalt Die 1954 geborene, bei ihren Eltern in Visp wohnhafte Diana besuchte im Jahre 1968 die erste Gymnasialklasse des Kollegiums in Brig. Sie fuhr jeden Tag mit der SBB von Visp nach Brig und zurück. Am 20. Mai 1968 wurde sie von ihrer Mutter auf den Bahnhof Visp gefahren. Die Zeit, um den abfahrenden Zug zu erreichen, war sehr knapp. Diana stieg vor dem Bahnhof aus dem Auto ihrer Mutter, lief zwischen dem Bahnhofbuffet und dem Stationsgebäude zu dem auf Geleise 2 stationierten Personenzug und sprang auf den bereits angefahrenen Zug auf. Dabei trug sie in der einen Hand ihre Schulmappe und ein Couvert. Auf dem Trittbrett verlor sie das Gleichgewicht und stürzte auf das Geleise, wobei ihr beide Beine unterhalb der Knie abgefahren wurden.

  8. Anspruchsmethode Wer will von wem was woraus? Nach der sog. Anspruchsmethode ist nach den potentiellen Geschädigten (wer) und Haftpflichtigen (wem), den Ansprüchen (was) und den dafür in Frage kommenden Haftungsgrundlagen (woraus) zu fragen.

  9. Anspruchsmethode Wer will Diana von wem SBB was Schadenersatz, Genugtuung woraus? - aus Vertrag - aus unerlaubter Handlung: aus EHG 1 ff. aus OR 41 I aus OR 41 I i.V.m. ZGB 55

  10. Eisenbahnhaftpflichtgesetz BG über die Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschiff-fahrtsunternehmungen und der Schweizerischen Post EHG (SR 221.112.742) EHG 1 I: „Wenn beim Bau oder Betrieb einer Eisenbahn oder bei Hilfsarbeiten, mit denen die besondere Gefahr des Eisenbahnbetriebes verbunden ist, ein Mensch getötet oder körperlich verletzt wird, so haftet der Inhaber der Eisenbahnunternehmungen für den daraus entstandenen Schaden, sofern er nicht beweist, dass der Unfall durch höhere Gewalt, durch Verschulden Dritter oder durch Verschulden des Getöteten oder Verletzten verursacht ist.“

  11. Revision: Eisenbahngesetz (EBG) Haftung Art. 40b Grundsätze Der Inhaber eines Eisenbahnunternehmens haftet für den Schaden, wenn die charakteristischen Risiken, die mit dem Betrieb der Eisenbahn verbunden sind, dazu führen, dass ein Mensch getötet oder verletzt wird oder einSachschaden entsteht. Art. 40c Entlastung 1) Der Inhaber wird von der Haftpflicht entlastet, wenn ein Sachverhalt, der ihm nicht zugerechnet werden kann, so sehr zur Entstehung des Schadens beigetragen hat, dass er als dessen Hauptursache anzusehen ist. 2) Derartige Sachverhalte sind insbesondere: a. höhere Gewalt; oder b. grobes Verschulden der geschädigten oder einer dritten Person. (SR 742.101; in Kraft 1. Januar 2010)

  12. Diana gegen SBB aus EHG 1 I Haftungsvoraussetzungen a) Personenschaden b) Eisenbahnbetrieb c) Kausalzusammenhang Eisenbahnbetrieb/Schaden d) Widerrechtlichkeit e) kein Befreiungs-/Entlastungsbeweis

  13. Schaden Schadensbegriff Unfreiwillige Vermögenseinbusse, die sich grundsätzlich nach der Differenz bestimmt zwischen dem gegenwärtigen Vermögensstand und dem Stand, den das Vermögen ohne das schädigende Ereignis hätte. Personenschaden Unfreiwillige Vermögenseinbussen, die durch eine Körperverletzung entstanden sind, bilden den Personenschaden.

  14. Personenschaden Denkbare Schadenspositionen - Kosten: Spital- und Heilungskosten, Pflegekosten - künftiger Erwerbsausfall - künftiger Haushaltsschaden - Genugtuung

  15. Eisenbahnbetrieb Verursachung durch den Betrieb einer Eisenbahn Zum Betrieb gehören nicht nur die Bewegungen der Züge, sondern auch die Beförderung von Personen und Waren in ihrer Gesamtheit. Hiervon erfasst wird z.B. auch das oft mit Hast und Gedränge verbundene Ein- und Aussteigen (BGE 60 II 373).

  16. Widerrechtlichkeit Erfolgs- oder Verhaltensunrecht Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter - Leben, Leib, physische und psychische Integrität - Eigentum, Besitz, beschränkte dingliche Rechte - Immaterialgüterrechte Verstoss gegen Verhaltensnorm (Schutzzweck)

  17. Kausalzusammenhang Der Kausalzusammenhang ist erfüllt, wenn der Betrieb der Eisenbahn nicht wegzudenken ist für den Schaden von Diana; sog. conditio sine qua non (natürlicher Kausalzusammenhang) wenn der Eisenbahnbetrieb nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet war, den Schaden von Diana zu bewirken (adäquater Kausalzusammenhang).

  18. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs Der Kausalzusammenhang darf nicht durch eine andereUrsache unterbrochen werden (EHG 1 I): - höhere Gewalt - grobes Drittverschulden - grobes Selbstverschulden BGE 102 II 363 E. 3: Der Kausalzusammenhang zwischen dem Eisenbahnbetrieb und der Schädigung wird durch ein Selbstverschulden nur dann unterbrochen, wenn Letzteres einzige Unfallursache ist oder im Vergleich so sehr überwiegt, dass die Betriebsgefahr in den Hintergrund gerückt wird, so dass sie als Unfallursache ausser Betracht fällt.

  19. Unterbrechung des Kausalzusammenhangs Mehrere Ursachen - Betrieb der Eisenbahn - Verhalten Dianas (Selbstverschulden) Führen mehrere Ursachen zum Schaden, ist jede für sich mit dem Schaden ins Verhältnis zu setzen: - Ursachenkonkurrenz - Unterbrechung des Kausalzusammenhangs

  20. Verschulden Funktionen Haftungsbegründende Funktion bei der Verschuldenshaftung (OR 41 I) Haftungsausschliessende Funktion im Rahmen der Kausalität (grobes Drittverschulden, grobes Selbstverschulden) Haftungsmildernde Funktion bei der Bemessung von Schadenersatz und Genugtuung (OR 44 I)

  21. (Selbst-)Verschulden Subjektive Seite Urteilsfähigkeit (ZGB 16) - Einsichtsfähigkeit - Willenskraft Objektive Seite - Vorsatz - Fahrlässigkeit

  22. Selbstverschulden von Diana Einsichtsfähigkeit: besteht Die fast 14-jährige Gymnasiastin ist intelligent und gewohnt mit der Bahn zu fahren. Sie weiss, dass ein fahrender Zug etwas höchstgefährliches ist. Sie weiss auch, dass sie nicht auf einen fahrenden Zug aufspringen darf (BGE 102 II 363 E 4) Willenskraft: etwas eingeschränkt Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Kinder im Alter von Diana geneigt sind, im Falle von Verspätung den Kopf zu verlieren und sich zu einer gefährlichen Handlung hinreissen zu lassen (BGE 102 II 363 E 4)

  23. Fazit Es liegt eine „beschränkte Urteilsfähigkeit“ vor. Das Selbstverschulden von Diana wiegt somit nicht so schwer, dass der Kausalzusammenhang zwischen der Betriebsgefahr der Eisenbahn und dem Schaden unterbrochen würde. Der gesetzliche Befreiungsbeweis nach EHG 1 I misslingt. Schadenersatzbemessung: Herabsetzung OR 44 I Haftungsquote 25% (BGE102 II 363 E 7)

  24. Fall 2: BGE 130 III 193 Sachverhalt Im Januar 1997 verbrachte Freddy im Kanton Glarus seine Ferien. Zur Benützung der Skilifte und Skipisten besass er eine Wochenkarte der Tödi AG. Am 8. Januar 1997 stürzte er im untersten Teil einer der Pisten und verlor beim Aufprall auf der hart gefrorenen Unterlage das Bewusstsein. In der Folge rutschte er unkontrolliert rund 75 Meter weit die Piste hinunter und rund zwölf Meter über den Pistenrand hinaus und glitt dann über eine Böschung in einen sechzehn Meter tiefen Geländeeinschnitt (Runse), wobei er sich einen Schädelbruch zuzog. Der Unfall machte einen längeren Spitalaufenthalt erforderlich und hat zu einer voraussichtlich bleibenden Gehbehinderung geführt.

  25. Anspruchsmethode Wer will Freddy von wem Tödi AG was Schadenersatz, Genugtuung woraus? - aus Transportvertrag/Nebenpflicht (OR 97 I) - aus unerlaubter Handlung: - aus OR 41 I bzw. - aus ZGB 55 II i.V.m. OR 41 I - aus OR 58 I

  26. Vertragliche - Ausservertragliche Haftung Wichtigste Unterschiede Beweislast des Verschuldens OR 97 I präsumiert das Verschulden Verjährung OR 127: 10 Jahre OR 60 I: relative Frist 1 Jahr seit Kenntnisnahme, absolute Frist 10 Jahre seit schädigender Handlung

  27. Freddy gegen Tödi AG aus OR 41 I Haftungsvoraussetzungen a) Schaden b) Widerrechtlichkeit c) Verschulden d) Kausalzusammenhang zwischen schuldhaftem Verhalten und Schaden

  28. Schaden Personenschaden Unfreiwillige Vermögenseinbussen, die durch eine Körperverletzung entstanden sind, bilden den Personenschaden. Denkbare Schadenspositionen - Spital- und Heilungskosten, Pflegekosten - Erwerbsausfall - Haushaltsschaden - Genugtuung

  29. Widerrechtlichkeit Erfolgs- oder Verhaltensunrecht Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter - Leben, Leib, physische und psychische Integrität - Eigentum, Besitz, beschränkte dingliche Rechte - Immaterialgüterrechte Verstoss gegen Verhaltensnorm (Schutzzweck)

  30. Verschulden einer juristischen Person Tödi AG als mögliche Haftpflichtige ist eine juristische Person. Was bedeutet das in Bezug auf die Prüfung des Verschuldens nach OR 41 I? Auch eine juristische Person ist deliktsfähig. Sie wird durch eine unerlaubte Handlung ihrer Organe verpflichtet (ZGB 55 II). Haftungsgrundlage gegen Tödi AG: ZGB 55 II i.V.m. OR 41 I.

  31. schuldhaftes Verhalten eines Organs Annahme, dass ein Organ der Tödi AG die schädigende Handlung bzw. Unterlassung der Sicherung vorgenommen hat (Sachverhalt ist illiquid). Prüfung des Verschuldens Subjektive Seite: Urteilsfähigkeit (ZGB 16; gesetzliche Vermutung) Objektive Seite: Liegt ein Mangel an der unter den gegebenen Umständen erforderlichen Sorgfalt bei der Pistensicherung vor (Fahrlässigkeit)?

  32. Fahrlässigkeit • Begriff • Die Fahrlässigkeit beurteilt sich durch Vergleich des tat-sächlichen Verhaltens des Schädigers mit dem hypotheti-schen Verhalten eines durchschnittlich sorgfältigen Men-schen in derselben Situation (Referenzfigur). • Kriterien • - allgemeiner Gefahrensatz • - konkrete Verkehrssicherungspflichten

  33. Verkehrssicherungspflichten • Massstab in der Praxis • Richtlinien für Anlage, Betrieb und Unterhalt von Schneesportabfahrten der Schweizerischen Kommission für Unfallverhütung auf Schneesportabfahrten (SKUS-Richtli-nien) • Richtlinien der Kommission Rechtsfragen auf Schneesport-abfahrten der Seilbahnen Schweiz (SBS-Richtlinien)

  34. Sicherungspflichten nach SKUS/SBS Grundsatz Richtlinien bilden kein objektives Recht, aber „wichtige Konkretisierungsfunktion“ im Hinblick auf den Inhalt der Verkehrssicherungspflicht (BGE 130 III 193 E 2.3). Inhalt Sicherungspflicht auch im Pistenrandstreifen von 2 m. Sturzräume ausserhalb der Piste zur Reduktion der Sturzdynamik müssen nicht geschaffen werden. Im Einzelfall strengere Massstäbe für die Sicherungspflicht möglich.

  35. BGE 130 III 193 dass keine besondere Gefahrensituation im Pistenbereich vorlag, sodass die Tödi AG nicht zu einer strengeren Verkehrssicherung verpflichtet gewesen ist, dass eine für die Tödi AG nicht voraussehbare Ausnahmesituation zum Unfall geführt hat, dass es unverhältnismässig und nicht zumutbar wäre, wenn bei jeder Piste eine Absicherung in Richtung Tal angebracht werden müsste. dass Freddy ausserdem die üblichen Gefahren des Skisports zu tragen hat, auch wenn er korrekt gefahren ist.

  36. Fazit Die objektive Seite des Verschuldens ist nicht erfüllt. Die Tödi AG haftet nicht nach ZGB 55 II i.V.m. OR 41 I.

  37. Freddy gegen Tödi AG aus OR 58 Haftungsvoraussetzungen a) Schaden b) Werk - Mangel am Werk - Werkeigentümer c) Kausalzusammenhang zwischen Werkmangel und Schaden d) Widerrechtlichkeit

  38. Werk Begriff Ein Werk ist ein Gegenstand, der dauernd direkt/indirekt mit dem Boden verbunden und künstlich von Menschenhand geschaffen worden ist.

  39. Werk Ist eine Skipiste ein Werk? natürliche Piste - künstlich präparierte Piste abgesteckte Piste maschinelle Bearbeitung der Schneedecke (BK-BREHM, OR 58 N 30a ff.) umstritten; Frage offen gelassen (BGE 130 III 193 E 2.2).

  40. Werkmangel Begriff Ein Werkmangel liegt vor, wenn das Werk nicht der nötigen Sicherheit, die zum bestimmungsgemässen Gebrauch erforderlich wäre, entspricht. Die Grenzen der Sicherungspflicht liegen in der Verhältnismässigkeit und der technischen und finanziellen Zumutbarkeit.

  41. Werkmangel Bestimmungsgemässer Gebrauch Freddy fuhr Ski auf der Piste. Erforderliche Sicherheit Werkmangel = mangelnde Sicherung verschuldensunabhängige Kausalhaftung mit einem „Verschuldenselement“ kombiniert (BGE 130 III 193 E 2.2). Verweis Prüfung Verkehrssicherungspflicht nach OR 41 I.

  42. Fazit Ein Werkmangel ist nicht gegeben. Die Tödi AG haftet auch nicht nach OR 58 I.

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