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Fallbeispiel: Petra 14 Jahre. Überweisung durch Kinder- und Jugendpsychiaterin mit Diagnose Anorexia nevosa bei 44,5 kg u. 1,69m (BMI 15,5). Gewichtsabnahme erfolgte in den letzten fünf Monaten von ursprünglich 60 kg auf 45 kg.
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Fallbeispiel: Petra 14 Jahre Überweisung durch Kinder- und Jugendpsychiaterin mit Diagnose Anorexia nevosa bei 44,5 kg u. 1,69m (BMI 15,5). Gewichtsabnahme erfolgte in den letzten fünf Monaten von ursprünglich 60 kg auf 45 kg. Anfänglich Einschränkung der Nahrungspalette (kein Fleisch, kein Fett, kein Käse). In letzter Zeit nur noch Bouillon, Salat und Joghurt. Manchmal Erbrechen. Familiäre Situation: 2 Jahre ältere Schwester, 10 und 12 Jahre ältere Schwester und Bruder, verheiratet und berufstätig. Starke Spannungen in der Familie, Partnerschaftsprobleme der Eltern
DSM-4 Kriterien für Anorexia nervosa (307.1) • Weigerung, ein Körpergewicht zu halten, das „normal“ ist für das Alter und die Grösse. (BMI < 17,5) • Große Angst zuzunehmen oder „fett“ zu werden, obgleich Untergewicht besteht. • Verzerrte Körperwahrnehmung, Gewicht bestimmt den Selbstwert, die Gefährdung durch das geringe Gewicht wird verleugnet. • Amenorrhoe
DSM-IV Kriterien für Anorexia nervosa (307.1) Spezifizierung: „Eating/Purging“-Typus: Mit Ess-Brechanfällen Restriktiver Typus: Ohne Ess-Brechanfälle
DSM-4 Kriterien für Bulimia nervosa (307.51) • Wiederkehrende Essanfälle: 1) In einer abgegrenzten Zeit wird deutlich mehr Nahrung zu sich genommen, als die meisten Leute in dieser Zeit unter ähnlichen Umständen zu sich nehmen würden. 2) Das Gefühl, die Kontrolle über das Essen zu verlieren. • Massnahmen, um die Gewichtszunahme zu verhindern (Erbrechen, Abführmittel, Fasten, etc.) • Die Essanfälle treten mindestens zweimal pro Woche über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten auf.
DSM-4 Kriterien für Bulimia nervosa (307.51) • Gewicht bestimmt den Selbstwert. • Die Essanfälle treten nicht während einer Anorexie auf. Spezifizierung: „Purging“-Typus. Mit Erbrechen oder Abführmittelabusus. „Nicht-Purging“-Typus: Mit Sport & Fasten.
häufige körperliche Beschwerden bei Anorexia und Bulimia nervosa • Zahnschäden (Karies), Erosionen des Zahnschmelzes • Vergrößerte Ohrspeicheldrüsen (Sialose) • Entzündungen des Rachen- und Speiseröhrentraktes • Gastroösophagealer Reflux, Sodbrennen • Magenfunktionsstörungen, Vollegefühl und Verdauungsstörungen • Kreislaufregulationsstörungen mit niedrigem Blutdruck (Hypothonie, orthostatische Dysregulation) • Durchblutungsstörungen mit kalten Händen und Füßen (Akrozyanose) • langsamer Puls (Bradykardie)
häufige körperliche Beschwerden bei Anorexia und Bulimia nervosa • niedrige Körpertemperatur • Gicht (Hyperurikämie) • Wassereinlagerungen im Gewebe (Ödeme) • Menstruationsstörungen bis zur Amenorrhoe • andere Hormonstörungen (erniedrigte T3-, Noradrenalin- und Adrenalinspiegel, erhöhte STH- und Kortisolspiegel) • Knochenstoffwechselstörungen (Osteoporose) • Verformungen der Nägel (Uhrglasnägel) • Verbreiterungen der Endglieder (Trommelschlegelfinger o. –zehen) • Mineral- und Vitaminmangelzustände
schwerwiegende Komplikationen bei Anorexia und Bulimia nervosa • Herzrhythmusstörungen • Blutarmut • Störungen des Säure-Basen Haushaltes • Elektrolytstörungen • Nierenfunktionsstörungen • Geschwüre im Magen oder Zwölffingerdarm • Nervenschädigungen • Lanugobehaarung • Hirnatrophie • Untergewicht (im Extremfall bis zum Verhungern)
Häufige komorbide Störungen bei Anorexia und Bulimia nervosa • Affektive Störungen: Major Depression u. Dysthymie bei beiden Störungen relativ häufig (50 bis 75%) • Angststörungen: Zwangsstörungen, zwanghafte Persönlichkeitsstörungen, häufiger bei AN (bis 25%), soziale Phobie häufiger bei BN (bis 30%) • Substanzmissbrauch und –abhängigkeit: häufiger bei BN (bis 37%) • Persönlichkeitsstörungen: antisoziale, Borderline, histrionische und narzisstische häufiger bei bulimischen Formen von AN u. BN. Selbstunsichere, dependende, zwanghafte bei beiden Störungen
Prävalenz von Essstörungsmerkmalen in der EDSP (N=3021, Alter 14-24): Männer Frauen* Große andauernde Sorgen über Gewicht und Essen 28,6% 45,3% ernsthafte Diät mit erheblichem Gewichts- verlust 24,7% 31,6% 21,7% 21,6% zu dünn/niedriger BMI 0,9% 6.1% große Angst vor Zunahme 0,8% 5.1% Essstörung (ANO/BUL) Max Planck Institut - EDSP * Amenorhoe: 2,8%
Anorexia nervosa: Verlauf und Prognose Outcome: • 33-55% vollständig remittiert/ „good“, bei Adoleszenten bis ca. 70% • 10-38% teilweise remittiert bzw. „intermediate“ • 10-50% schlecht, 10-38% leiden weiterhin an AN, BN, EDNOS • 1.4-16% verstorben Prädiktoren für negativen Outcome: • Niedriger BMI zu Behandlungsbeginn und bei Entlassung • Später Beginn (>20 Jahre) • Längere Krankheitsdauer • Psychiatrische Komorbidität/ höheres Ausmaß sozialer und psychologischer Probleme (Perfektionismus) • Heißhungeranfälle und Erbrechen • Körperliche Folgeschäden
Bulimia nervosa: Verlauf und Prognose Outcome: • 20-60% haben noch weiterhin eine Essstörung • 50-74% vollständig remittiert, keine Essstörung • 1% verstorben Prädiktoren für negativen Outcome: • Höhere Frequenz von Erbrechen zu Behandlungsbeginn • Reduktion des Erbrechens um weniger als 70% während der ersten sechs Sitzungen • Impulsivität, Substanzmissbrauch
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Anorexia (AN) und Bulimia (BU) nervosa AN BU Übertriebene Beschäftigung mit Diät, Nahrung, Gewicht u. Körperfett Normalgewicht Untergewicht Krankheitsbewusstsein Krankheitsverleugnung Unbehagen beim Essen mit anderen Emotionale Veränderungen (z.B. Depressivität) labil, impulsiv Perfektionismus introvertiert Psychosoziale Veränderungen (Rückzug) stark verzerrtes Körperschema Körperschema mäßig verzerrt Körperliche Beschwerden Streben n. Idealgewicht ständig Drang n. Gewichtsabnahme
Genetische Faktoren: Zwillingsstudien Genetischer Varianzanteil: Anorexia nevosa: 58-85% Bulimia Nervosa: 28-83%
intermittierend erniedrigte Kalorienzufuhr verminderte Bildung v. Trijodthyronin, erniedrigte noradrenerge Aktivität Verhaltensänderung (Diät, Laxantien, Erbrechen) Hypometabolismus m. verzögerter Normalisierung Angst vor Dickwerden Normales Essverhalten bzw. Heißhungerattacken können zu kurzfristiger Gewichtszunahme führen Biopsychologische Faktoren: Diät/Hungern Psychobiologischer circulus vitiosus bei der Aufrechterhaltung des restriktiven Basis-Essverhaltens bei Anorexia und Bulimia nervosa
Psychosoziale Faktoren:Familiäre Interaktions-und Kommunikationsmuster Minuchin et al. (1978): Typische pathogene Interaktionsstile in Familien als Ursache für Essstörungen • Verstrickung • Überbehütung • Rigidität • Konfliktvermeidung
Psychosoziale Faktoren: Familiäre Interaktions- und Kommunikationsmuster Aktuelle Querschnittsbefunde finden Hinweise auf gestörte familiäre Interaktionsmuster (z.B. geringe Kohäsion, geringer affektiver Ausdruck) • Unklar bleibt: • ob Ursache oder Folge der AN/BU • ob spezifisch für AN/BU
Faktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung von AN u. BU
Kindliche Adipositas Reinhold G. Laessle, Universität Trier Hallo Dickie! Pass auf, dass du keinen Fettfleck machst, wenn du aufstehst.
Kindliche Adipositas Reinhold G. Laessle, Universität Trier Definition und Klassifikation BMI = Body-Mass-Index = kg / m2 • Körpermasse (BMI) weicht vom Durchschnittswert • der Häufigkeitsverteilung in der Bevölkerung ab • Mäßiges Übergewicht: > 85. Perzentil • Starkes Übergewicht: > 95. Perzentil
Kindliche Adipositas Reinhold G. Laessle, Universität Trier Medizinische Konsequenzen * Nicht-Insulindependent Diabetes Mellitus (2,4%) * Bluthochdruck (25%) * Erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen * Fettleber (25%) * Erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Gallensteinen * Einschränkungen der Lungenfunktion (80%) * Schlafapnoe (30%)
Kindliche Adipositas Reinhold G. Laessle, Universität Trier Psychosoziale Konsequenzen: • Diskriminierung / soziale Ausgrenzung • Geschwächtes Selbstwertgefühl • Mangelndes Selbstvertrauen • Erschwerung beim Aufbau von Sozialkontakten • Komorbide Störungen: Depression, Angststörungen
Kindliche Adipositas Reinhold G. Laessle, Universität Trier Genetische Faktoren: Bis zu 70% der Varianz im BMI erblich bedingt (Zwillingsstudien) Mechanismen: *Anzahl der Fettzellen *Energiestoffwechsel
Kindliche Adipositas Reinhold G. Laessle, Universität Trier Komponenten des Kalorienverbrauchs: Ruheumsatz 70 % Verdauung 10 % Sport 20 %
Kindliche Adipositas Reinhold G. Laessle, Universität Trier Psychosoziale Faktoren Lerngeschichte/Elternhaus (Funktion des Essens, Nahrungsmittelpräferenzen) Stress und emotionale Befindlichkeit Soziokulturelle Faktoren Leichte Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln mit hoher Energiedichte Freizeitangebote ohne körp. Aktivität Genetische Faktoren Hohe Fettzellen-Anzahl Niedriger Energieverbrauch Fettpräferenz Essverhalten qualitative Nahrungsaufnahme quantitative Nahrungsaufnahme Aktivitätsverhalten Ruhestoffwechsel Energieaufnahme Energieverbrauch Übergewicht/Adipositas Einflussfaktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Übergewicht bei Kindern und Jugendlichen
Kindliche Adipositas Reinhold G. Laessle, Universität Trier Therapieprinzipien bei kindlicher Adipositas • Ernährungsumstellung • derzeitiges Essverhalten • Fett-/ Zucker- Detektiv • Ernährungsampel • Psychosoziale Interventionen • Umgang mit Hänselei • Umgang mit Ärger • Stärkung des Selbstwertgefühls • Umgang mit Langeweile • Bewegung/ Sport • Bewegungsspiele in den Sitzungen • Hausaufgaben für Bewegung im Alltag
Kindliche Adipositas Reinhold G. Laessle, Universität Trier Ernährungsumstellung: Informationsbaustein • Welche Nahrungsmittel darf man ohne Bedenken essen? Welche sind mit Vorsicht zu genießen? Wie sieht eure Ernährung zur Zeit aus? • Wie sollte man essen? Welche Essregeln kennt ihr? Wie könnt ihr es schaffen, euer Essverhalten zu verbessern? • Gemeinsames Essen Woran erkennt ihr, dass ihr satt seit? • Wie viel Fett/ Zucker ist in verschiedenen Nahrungsmittel enthalten Wie könnt ihr schlemmen, ohne eine schlechtes Gewissen zu haben?
Kindliche Adipositas Reinhold G. Laessle, Universität Trier Die Ernährungsampel STOP nur selten u. in Maßen zucker- u. fetthaltige Süßigkeiten fetthaltiges Gebäck frittierte Lebensmittel fettreiche Wurst süße, fetthaltige Brotaufstriche zuckerhaltige Limonaden ACHTUNG nicht tägl. essen fetthaltige Milchprodukte (Käse etc.) Margarine Müsliriegel Weißmehlprodukte süße Brotaufstriche Fleisch/Wurstwaren, Eier FREIE FAHRT zum Sattessen Obst u. Gemüse Vollkornprodukte Magermilchprodukte Fisch Mineralwasser, Fruchtsaftschorle
Kindliche Adipositas Reinhold G. Laessle, Universität Trier Therapiebaustein: Umgang mit Hänseleien • bisherige Erfahrungen abklären Situation,Verhalten, Konsequenzen (Gedanken, Gefühle) • Diskussion von Alternativen • Rollenspiel Üben von Reaktionsmöglichkeiten • Rückmelderunde Vergleich mit bisherigen Erfahrungen
Kindliche Adipositas Reinhold G. Laessle, Universität Trier Umgang mit Hänseleien
Kindliche Adipositas Reinhold G. Laessle, Universität Trier Therapiebaustein: Selbstwertgefühl • Kriterien zur Beurteilung von Personen Gewicht, andere Eigenschaften • eigene Stärken • Interaktionsübung Komplimente geben • Rückmelderunde: Selbstbild, Fremdbild
Kindliche Adipositas Reinhold G. Laessle, Universität Trier Umgang mit Langeweile • Diskussionsrunde: Langeweile und Essverhalten Situation? Hungergefühl? Art des Essverhaltens? • Vorschläge für alternative Verhaltensweisen • Anti-Langeweile-Box als Hilfsmittel zur Selbstkontrolle
Kindliche Adipositas Reinhold G. Laessle, Universität Trier Anti-Langeweile Box
Therapieziele bei Essstörungen • Umstellung des restriktiven, Diät orientierten Essverhaltens (vor allem bei BU). Gewichtszunahme (vor allem bei AN) • Veränderung der Bewertung von Figur und Gewicht in Richtung angstfrei und realistisch • Abbau des Einflusses von Stress auf Essverhalten und Gewicht
Indikation zur stationären Behandlung von Essstörungen Medizinische Kriterien • Kritischer Gewichtsverlust • Schwangerschaft (v.a. erstes Drittel) • Massiver Laxanzien- Diuretikaabusus • Diabetes („Insulinpurging“) 2. Psychosoziale Kriterien • spezifische psychosoziale Belastungsfaktoren (z.B. familiäre oder partnerschaftliche Interaktionsmuster, berufliche Belastungen, soziale Isolation)
Indikation zur stationären Behandlung von Essstörungen 3. Psychotherapeutische Kriterien • Latente oder akute Suizidalität • Komorbide depressive Störungen, Störungen der Impulskontrolle, Persönlichkeitsstörungen • Starke Hyperaktivität • Massive Vernachlässigung sozialer und beruflicher Bereiche • Scheitern bisheriger ambulanter Behandlungsversuche
Kognitive Vorbereitung der Therapie (I) • Generell: unterstützende therapeutische Grundhaltung und Akzeptanz der Ängste und Befürchtungen • Validierung der Ambivalenz bzgl. Veränderung • Konkrete Erfassung der individuellen Befürchtungen, die an eine Gewichtszunahme geknüpft sind, ggf. Korrektur der Befürchtungen • Verdeutlichen der Funktionalität, Vor- und Nachteile der Essstörung benennen, Besprechen der individuell vorliegenden Begleit- und Folgeerscheinungen der Essstörung • Information: Hinweis auf physiologische Bedingungen, die zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Heißhungerattacken und Erbrechen beitragen
Fallbeispiel für stationäre Therapie 14-jähriges Mädchen mit Anorexia nervosa Vorstellungsanlass: Überweisung durch Kinder- und Jugendpsychiaterin mit Diagnose Anorexia nevosa bei 44,5 kg u. 1,69m (BMI 15,5). Gewichtsabnahme erfolgte in den letzten fünf Monaten von ursprünglich 60 kg auf 45 kg. Anfänglich Einschränkung der Nahrungspalette (kein Fleisch, kein Fett, kein Käse). In letzter Zeit nur noch Bouillon, Salat und Joghurt. Manchmal Erbrechen. Familiäre Situation: 2 Jahre ältere Schwester, 10 und 12 Jahre ältere Schwester und Bruder, verheiratet und berufstätig. Starke Spannungen in der Familie, Partnerschaftsprobleme der Eltern