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Grundlagen und Therapie der Alkoholabhängigkeit – aktuelle Ergebnisse der Therapieforschung. Michael Soyka, Miriam Bottlender 1.Psychiatrische Klinik der Ludwigs-Maximilians-Universität München BMBF-Forschungsverbund 2. Privatklinik Meiringen, Schweiz 3. Versorgungsforschung ‚ASAT‘
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Grundlagen und Therapie der Alkoholabhängigkeit – aktuelle Ergebnisse der Therapieforschung Michael Soyka, Miriam Bottlender 1.Psychiatrische Klinik der Ludwigs-Maximilians-Universität München BMBF-Forschungsverbund 2. Privatklinik Meiringen, Schweiz 3. Versorgungsforschung ‚ASAT‘ ‚Patienten- und störungsbezogene Zuordnungsmodelle für Interventionen bei Substanzstörungen‘
Häufigkeit von Alkoholproblemen in der Bevölkerung Alkoholabhängigkeit 1.600.000 Schädlicher Gebrauch 2.700.000 Riskanter Konsum 5.000.000 Bei 9,3 Mio. Menschen in Deutschland besteht alkoholbedingter Beratungs- und Behandlungsbedarf ! aus: Mann, K.: Neue ärztliche Aufgaben bei Alkoholproblemen. Dt. Ärzteblatt 10, A632, 2002
10,6 Liter reiner Alkohol pro Kopf / Jahr 1,6 Millionen Alkoholabhängige (3% der erwachsenen Bevölkerung) 2,7 Millionen Personen mit Alkoholmißbrauch Pro Jahr ca. 42 000 alkoholbedingte Todesfälle Folgekosten durch alkoholbedingte Krankheiten ca. 20 Milliarden Euro / Jahr (Dtsch Arztbl, Mann 2002)
Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit • Alkohol • Verfügbarkeit • Wirkung • Verträglichkeit • Anlage • Genetik • Persönlichkeit • Psyche • Umwelt • Familie • Gesellschaft • „Peer Group“, Freunde • Lebenssituation • „Life Events“ • Stress
Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit Genetik Persönlichkeit Psyche Umwelt Alkoholkonsum Sensitivierung (Neuroadaption) Suchtgedächtnis (Reward memory) Therapie Abstinenz Stress Schlüsselreize Umgebung Craving Rückfall
30 min 30 min Wirkung von Dextrometorphan, Placebo und Alkohol: FDP-PET DX / Placebo Alcohol / Placebo 30 min 30 min BAK DX BAK DX BAK DX BAK DX BAK DX Transmission FDG Scan
Kontrollen: Einfluß von Alkohol auf Regionalen Glucosemetabolismus • Frontal lobe • Parietal lobe • Temporal lobe • Occipital lobe • Thalamus • Striatum • Cerebellum • Gehirn Ges • - 16% p < 0.05 • - 17% p < 0.05 • - 14% p < 0.05 • - 17% p < 0.05 • - 14% n.s. • - 12% n.s. • - 19% p < 0.05 • - 16% p < 0.05
Patienten Kontrollen Sign. • Frontal lobe • Parietal lobe • Temporal lobe • Occipital lobe • Thalamus • Striatum • Cerebellum • Gehirn Ges. • - 6% + 6% p < 0,05 • - 6% + 5% p < 0,05 • - 5% + 6% p < 0,05 • - 5% + 5% p < 0,05 • - 6% + 5% p < 0,05 • - 4% + 6% p < 0,05 • - 8% + 3% p < 0,05 • - 6% + 5% p < 0,05 Regionale Effekte Placebo vs. Dextromethorphan Patienten FL PL TL OL TH ST CB WB FL PL TL OL TH ST CB WB Kontrollen
ad 1: „Wer erstmals betrunken auffällt, werde ins Gefängnis geworfen bei Wasser und Brot.“ „Beim zweiten Mal werde er öffentlich ausgepeitscht.“ „Beim dritten Mal schneide man ihm ein Ohr ab und verbanne ihn.“ Franz I. 1536 zit. nach Lewin 1931
Die Behandlung der Alkoholabhängigkeit im historischen Rahmen • Zitronenkur: exakt 231 Zitronen in genau 29 Tagen – beseitigt jegliches Verlangen nach Alkohol5 Patienten wurden gegen Alkohol völlig indifferent, Craving verschwand vollständig Shilo, 1961
Die Behandlung der Alkoholabhängigkeit im historischen Rahmen • Injektion des eigenen Serums mit Whiskyzusatz – 16 Patienten Pareja, 1947 • Konditionierte Aversionsbehandlung (Elektroschock) 30.000 Patienten bis 1980 Drs. Shadel & Voegtlin, 1935
Wirksamkeit hinsichtlich welcher Erfolgskriterien? • Abstinenz versus Reduktion des Alkoholkonsums • Andere Kriterien • Zufriedenheit, Lebensqualität, QALYs • Kriterien der sozialen Integration: Arbeit, Familie, Partnerschaft • Körperliche Gesundheit, Fitness • Komorbidität: psychische Symptome unterschiedlicher Art • Familie, Partnerschaft • Zeitfenster • Die letzten 30 Tage (z. B. im EuropASI) • Die letzten 6 Monate, das letzte Jahr • Im gesamten Katamnesezeitraum
Ergebnisse zur Spontanremission Miller & Hester (1980): 19% abstinent oder gebessert, als Prävalenz in einem Jahr Institute of Medicine (1990): 20% als jährliche Spontanremission Baekeland et al (1975): Im Sinne der Inzidenz 2% pro Jahr als abstinent u. 7% bei sozialen Kriterien der Besserung als spontan gebessert Remittiert ohne Hilfe N =4075 TACOS-Studie (John et al, 2002) Jemals Diagnose Abhängigkeit DSM-IV N = 153 N = 38 3,8% 0,9% 24%
Vorzeitige Therapiebeendigung (Abbruch) Stationäre Behandlung MEAT-Studie : im Durchschnitt 17% (4,6% - 31,6%) Abbruch ist ein schwacher negativer Prädiktor des Behandlungserfolgs (r = -.2) Rückfälle während der Behandlung sind relativ selten: ca. 10% in der MEAT- Studie Ambulante Behandlung: 22% (Soyka, 1999) – 50% (?)
Behandlungsdauer und Abstinenzraten (MEAT-Studie, Katamnese nach 18 Monaten, 21 stationäre Einrichtungen, N=1410; Küfner & Feuerlein, 1989) Gesamt: 53% abstinent (nach 4 J. 46%, Ausschöpfung 81%) 8,5% gebessert
Stationäre Entwöhnungs-behandlung 6 Monate Stationäre Entwöhnungs-behandlung 4 bis 6 Monate (21 Kliniken) 6 Monate 1 Jahr 1.410 3.060 60% 67% Ergebnisse nach stationärer Entwöhnungsbehandlung I Stationäre Langzeittherapie Zemlin et al. 1999 Stationäre Langzeittherapie Küfner & Feuerlein 1989 Behandlung der Zeitpunkt Nachuntersuchung Anzahl der Patienten Abstinenzrate K. Mann Deutsches Ärzteblatt (2002)
6 Wochen stationär 1 Jahr ambulant 6 Wochen stationär 1 Jahr ambulant 1 Jahr 1 Jahr 212 790 67% 68% Ergebnisse nach stationärer Entwöhnungsbehandlung II Stationär/ Ambulante Therapie Mann & Batra 1993 Stationär/ Ambulante Therapie Mann et al. 1995 Behandlung der Zeitpunkt der Nachuntersuchung Anzahl der Patienten Abstinenzrate K. Mann Deutsches Ärzteblatt (2002)
Project MATCH - Zusammenfassung • 8 Jahres Studie (multizentrisch, USA) • 1726 Patienten • 25 Forscher und 80 Therapeuten • Ziel: Identifizierung von Patientenmerkmalen für differentielle Therapieansätze Donovan et al. 2002
Project MATCH - METHODEN • Drei Behandlungen über 12 Wochen • TSF Twelve Step Facilitation – 12 sessions • CBT Cognitive Behavioural Therapy – 12 sessions • MET Motivational Enhancement Therapy – 4 sessions • Zufällige Zuordnung in 9 Gruppen Donovan et al. 2002
Project MATCH - Ergebnisse • signifikante Verbesserungen des Trinkverhaltens bei allen drei Behandlungsverfahren: • monatliche Trinktage reduziert von 25 auf 6 • Rückgang der “drinks” pro Trinktage von 15 auf 3 • Verminderung von Depressionen, alkoholbedingten Problemen und Missbrauch von sonstigen Drogen • Konsolidierung über 12 Monate • Erfolge auch nach 39 Monaten (outpatient sample) Donovan et al. 2002
Holder et al. WEIn Behandlungsmethode*1 Behandlungsmethode*1 Finney/ Monahan AEIn 18 Soziales Kompetenztraining Gemeindeprogramme 59 12 Paartherapie, VT Soziales Kompetenztraining 37 6 Gemeindeprogramme Paartherapie, VT 36 6 Stressmanagement Training Paartherapie, andere 21 1 Paartherapie, andere Stressmanagement Training 12 0 Kognitive Therapie Kognitive Therapie -8 -4 Konfrontationsbehandlung Psychoedukation -11 -5 Psychoedukation Gruppentherapie -13 -9 Gruppentherapie Residential Milieu Therapie -27 -12 Residential Milieu Therapie Konfrontationstherapie -31 Rangfolge der Effektivitätsindices verschiedener Behandlungsmethoden: Gegenüberstellung von Holder et al. (1991) [10 ]und Finney und Monahan (1996) [11] (nach Finney und Monahan, 1996, [11]), WEIn: weighted evidence index, AEIn: adjusted evidence index
Schlussfolgerungen • Meta-Analyse Berglund et al (2003) • Alkoholismusbehandlung ist effektiv • Evidenz: 23 Studien Vergleich Behandlung gegen keine Behandlung • (z.B. Warteliste) • Effektstärke 0.37 • 2. Spezifische Behandlung ist besser als Standardbehandlung • Evidenz: • 22 Studien mit spezifischer Alkoholismusbehandlung gegen • „allgemeine“ Behandlung, 16 davon positiv
Schlussfolgerungen 3. Familien- und Ehetherapie effektiv 4. Evidenzkriterien für Zuordnung von Patienten zu spezifischen Therapien schwach, siehe zum Beispiel Project Match 5. Assoziation zwischen Setting und Intensität der Behandlung (ambulant, stationär, Dauer, Länge) und Behandlungsergebnisse schwach 6. Bei leichter bis mittelgradiger Ausprägung der Abhängigkeit sind begrenzte Interventionen genauso effektiv wie intensivere Behandlungen z.B. Selbsthilfemanual, Bibliotherapie, Brief-Intervention 7. Bei Patienten mit psychiatrischer Komorbidität und/oder Obdachlosigkeit: Intensivere Therapie notwendig.
AWMF-Leitlinie Postakutbehandlung alkoholbezogener Störungen • Stationäres Setting wird empfohlen bei • Gravierenden Störungen im körperlichen, psychischen und sozialen Bereich • Fehlender Unterstützung durch das soziale Umfeld • Keine berufliche Integration • Keine stabile Wohnsituation • Wiederholte Rückfälle während ambulanter oder teilstationärer Postakutbehandlung
Therapieprogramm Klientenzentrierte Problemberatung • Vor Therapiebeginn Motivationsphase von bis zu zwölf Wochen (Einzelgespräche und Therapiegruppen) • Entwöhnungstherapie: 80 - max. 120 Therapiestunden, Dauer im Regelfall 6-9 Monate. • Multimodales Therapiesetting: wöchentlich Einzel- und Gruppengespräche • Eklektizistisches Therapiekonzept • klientenzentrierte Gesprächstherapie • Verhaltenstherapie • Gestalttherapie • Entspannungstherapie • Angehörigenarbeit • Informationsgruppe (Psychoedukation)
Indikationskriterien (Empfehlungsvereinbarung ambulante Rehabilitationsmaßnahmen Sucht, 1991) Relativ intaktes soziales Umfeld Ausreichende berufliche Integration Stabile Wohnsituation Bereitschaft und Fähigkeit zur Suchtmittelabstinenz Fähigkeit und Motivation zur aktiven Mitarbeit, regelmäßigen Teilnahme sowie zur Einhaltung des Therapieplans
Ausschlußkriterien (Empfehlungsvereinbarung ambulante Rehabilitationsmaßnahmen Sucht, 1991) Schwere körperliche und neurologische Folgeschäden Schwere psychiatrische Störungen, die nur stationär zu behandeln sind (z.B. Suizidalität, akute Psychose) Fehlen sozialer Integration Fehlende Behandlungsbereitschaft Notwendigkeit der Herausnahme aus dem pathogenen Milieu
Studiendesign: Untersuchungszeitpunkte Prä-Test Zu Beginn der Therapie Zum Abschluß der Therapie Post-Test Ausschöpf-Quote 95% 6-Monats-Follow-up K 1 Ausschöpf-Quote 90% 12-Monats-Follow-up K 2 24-Monats-Follow-up Ausschöpf-Quote 87% K 3 Ausschöpf-Quote 88% 36-Monats-Follow-up K 4 mb 00
Untersuchungsinstrumente Dokumentationsstandard DG Sucht EBIS ICD-10 und DSM-IV Kriterien European Addiction Severity Index Munich Alcoholism Test (MALT) Trierer Alkoholismus Inventar (TAI) Assessment: Consumption of alcohol (IDTSA) Obsessive Compulsive Drinking Scale (OCDS) Beschwerde - Liste (BL) Beck Depression Inventory (BDI) Stait Trait Anxiety Inventory (STAI) Freiburger Persönlichkeits Inventar (FPI) NEO-FFI Structured Clinical Interview DSM-IV (SCID-II) mb 00
Patientencharakterisierung I 4/99-4/00 102 Patienten eingeschlossen Geschlecht 61 Männer (60%) 41 Frauen (40%) Alter 45 (± 8) Jahre Berufl. Status 18% arbeitslos Familienstand 15% ledig 58% verheiratet 24% geschieden 77% in fester Partnerschaft
Patientencharakterisierung II Alter bei Beginn regelmäßigen Alkoholkonsums 19 (±6) Jahre Ersterkrankungsalter Abhängigkeit 29 (±10) Jahre Dauer Alkoholabhängigkeit 15 (±9) Jahre Alkoholkonsum durchschnittlich 193 (±102) Gramm/d Komorbide Medikamentenabhäng. n=17 (17%) Therapieerfahrung n=36 (35%) Zusammenlebend mit Suchtkranken n=11 (11%) Familienanamnese Vater pos. n=29 (28%) Mutter pos.n=8 (8%)
Fragestellung Wie unterscheiden sich Patienten mit erfolgreichem Therapieverlauf von Patienten mit Therapieabbruch wegen Rückfälligkeit ? Wie hoch sind die Abstinenzquoten 6,12 und 24 Monate nach Therapieende?
Regulärer Verlauf n=74 (72,2%) Abbruch wegen Rückfall n=18 (18%) Therapieverlauf (n=102) Abbruch andere Gründe (Kostenübernahme, Beruf, mangelnde Motivation) n=10 (9,8%)
Vergleich Patienten mit regulärem Therapieverlauf und mit Therapieabbruch wegen Rückfälligkeit Ersterkrankungsalter Abhängigkeit Dauer Alkoholabhängigkeit Alkoholkonsum durchschnittlich Komorbide Benzodiazepinabhängigkeit Verurteilung wegen Sucht Positive Familienanamnese Stationäre Entwöhnung** Therapieabbruch anamnestisch ** Suchtkranker Partner** Geschlecht weiblich * Familienstand (geschieden) ** n.s.
OCDS: Vergleich Patienten mit regulärem Therapieverlauf und solchen mit Therapieabbruch ** ** 9 0 Abbruch Kein Abbruch Abbruch Kein Abbruch PRÄTEST POSTTEST OCDS: Obsessive Compulsive Drinking Scale
STAI (Prätest): Vergleich Patienten mit regulärem Therapieverlauf und solchen mit Therapieabbruch Allgemeine Ängstlichkeit Augenblickliche Ängstlichkeit * * n.s. Abbruch Kein Abbruch STAI: State Trait Anxiety Inventory
BDI: Vergleich Patienten mit regulärem Therapieverlauf und solchen mit Therapieabbruch ** 20 ** 10 0 Abbruch Kein Abbruch Abbruch Kein Abbruch PRÄTEST POSTTEST BDI: Beck Depressions Inventar
Prämorbide Persönlichkeit und Alkoholabhängigkeit Untersuchungen von Vaillant (1980) College-Studenten mit späterem Alkoholismus wiesen im MMPI erhöhte Werte in den Skalen Hypomanie und Psychopathie auf. Kein Zusammenhang zwischen Depressivität und Sucht