810 likes | 1.13k Views
Frühe medizinische Zeichen drohender Kindeswohlgefährdung. Thorsten Wygold, Kinderkrankenhaus auf der Bult, Hannover. Kleine Kinder, kleine Sorgen – große Kinder, große Sorgen ? Medizinischer Schutzauftrag in Kindheit und Jugend. Historie.
E N D
Frühe medizinische Zeichen drohender Kindeswohlgefährdung Thorsten Wygold, Kinderkrankenhaus auf der Bult, Hannover
Kleine Kinder, kleine Sorgen– große Kinder, große Sorgen ? Medizinischer Schutzauftrag in Kindheit und Jugend
Historie • Die Geschichte der Kindheit ist auch eine Geschichte der Kindesmisshandlung!
Vom alten Testament… • Wen der Herr liebt, den züchtigt er, / wie ein Vater seinen Sohn, den er gern hat.(Spr 3,12) • Erspar dem Knaben die Züchtigung nicht; / wenn du ihn schlägst mit dem Stock, wird er nicht sterben. (Spr 23,13)
Unicef, Innocenti report card issue,No.5, September 2003 • 95% der Misshandlungsfälle finden in der familiären Umgebung statt • Täter: leibliche Eltern und Stiefeltern
Situation in Deutschland • Deutschland, 1996: • 15674 angezeigte Fälle sex. Missbrauchs nach §176 STGB • 5198 angezeigte Fälle von Gewalt gegen Abhängige nach §§ 174, 174a, 174b, 177, 178
Die Dunkelziffer in Deutschland ist hoch(30 bis 60% der bekannten Fälle) • Sterblichkeit nach Kindesmisshandlung in Deutschland (Kinder unter 15 Jahren): • 0,6 von 100 000 Kindern / Jahr • gesamt 523 / 5 Jahren • davon 148 im 1. Lebensjahr Quelle: UNICEF, INNOCENTI REPORT CARD ISSUE, No.5, SEPTEMBER 2003 • Kinderkrankenhaus auf der Bult versorgt ca. 60-70 Fälle von Kindesmisshandlung / Jahr
Prognostische Risiken in der Familie I • Belastung der Eltern • Psychische Erkrankung • Abusus • broken-home Familien • Misshandlungserfahrung in der Eigenanamnese • Geringe Schulbildung • Belastung der Partnerschaft • Frühe Elternschaft • Unerwünschte oder sehr stark erwünschte Schwangerschaft • Gestörte Partnerbeziehung
Prognostische Risiken in der Familie II • Belastung der Familie • Armut • Beengte Wohnverhältnisse • Gestörte oder auffällige Mutter-Kind Beziehung
Warum ? • Die Gesellschaft wird immer komplexer • Gesellschaftlicher Strukturwandel: • Endtraditionalisierung = Verlust von Wertvorstellungen • Pluralisierung = Verlust von Strukturen • Individualisierung = Verlust der Großfamilie
Folgen • Verlust der sozialen Kontrolle • Fehlen sozialer Netzwerke zur Entlastung und Stabilisierung in Krisensituationen • Lebensführung besteht aus „trial and error“ • Wird als anstrengend, kompliziert und mühsam erfahren • Führt zu Verunsicherung in allen Bereichen der Lebensführung und des Alltags, eben auch Erziehung
Statistisches Landesamt Niedersachsen (2005) • Anteil von Menschen, die unterhalb der Armuts-grenze leben: 14,5% • > 1 Mill. Menschen in Niedersachsen • Anteil bei Familien mit mehreren Kindern: 33,2% • 71638 Bedarfsgemeinschaften mit Kindern < 18 Jahren erhalten Sozialhilfe • Zahlen in Niedersachsen steigend
UNICEF, Innocenti Working Paper (2005)A portrait of child poverty in Germany
Aktionsmöglichkeiten Misshandlung Misshandlung Misshandlung Misshandlungist vermeidbar droht ist aufgetreten droht erneut primäre sekundäre Behandlung, Nachsorge, Prävention Prävention tertiäre quarternäre Prävention Prävention
Erkennung + Behandlung Frühe Erkennung von Misshandlung und Vernachlässigung ist wichtig • Erzieher, Lehrer, Kinderärzte, Hausärzte Die Zeichen sind meist subtil, aber früh erkennbar: • Verhaltensauffälligkeiten als frühe Hinweise • Sichtbare körperliche Merkmale erst später
Behandlung und Nachsorge • Bei erkannter und dokumentierter Misshandlung Schutzauftrag der Jugendhilfe • Beinhaltet die Kooperation aller Fachgruppen, die sich um das Kind kümmern, auch der Kinderärzte und Kinderklinik • Grundlage: §8a, SGB VIII
Rechtliche Grundlage (1) Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen bekannt, so hat es das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte abzuschätzen. Dabei sind die Personensorgeberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche einzubeziehen, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. Hält das Jugendamt zur Abwendung der Gefährdung die Gewährung von Hilfen für geeignet und notwendig, so hat es diese den Personensorgeberechtigten oder den Erziehungsberechtigten anzubieten.(2) In Vereinbarungen mit den Trägern von Einrichtungen und Diensten, die Leistungen nach diesem Buch erbringen, ist sicherzustellen, dass deren Fachkräfte den Schutzauftrag nach Absatz 1 in entsprechender Weise wahrnehmen und bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos eine insoweit erfahrene Fachkraft hinzuziehen. Insbesondere ist die Verpflichtung aufzunehmen, dass die Fachkräfte bei den Personensorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, wenn sie diese für erforderlich halten und das Jugendamt informieren, falls die angenommenen Hilfen nicht ausreichend erscheinen, um die Gefährdung abzuwenden.
Medizinische Hinweise auf hilflose Eltern I • Kleinkindbeschwerden: • vermehrtes Schreien/unruhiges Verhalten des Säuglings • Schlafprobleme • Fütter- und Essverhaltensstörungen, • Verhaltensauffälligkeiten des Kleinkindes (z.B. starke Ängstlichkeit, vermehrtes Trotzverhalten, Unruhe, Spielunlust) • Probleme in der Eltern-Kind Beziehung • elterliches Belastungserleben nach der Geburt des Kindes, z.B. auch nach Frühgeburt oder Erkrankung des Kindes
Medizinische Hinweise auf hilflose Eltern II • Schulkinder und Jugendliche: • Schulverweigerung • Essstörungen • Störung des Sozialverhaltens • Delinquenz • Depression
Verhaltensauffälligkeiten mit gestörter Kontaktaufnahme Schreckhaftigkeit Provokationen Nicht adäquate Aufmachung Beim Kind
Bei Schulkindern und Jugendlichen • Schulverweigerung • Essstörungen • Störung des Sozialverhaltens • Delinquenz • Depression
Vermeidungsverhalten Anspannung im Gespräch Wechselnde Ärzte Gestörte Interaktion mit dem Kind Übertriebene Zuwendung Bei den Eltern
Ältere Verletzungen an untypischen Stellen Nicht adäquate Anamnese von Verletzungen Hinweise auf Misshandlung
Misshandlungsspuren an der Haut akzidentell nicht-akzidentell Zeichnungen nach Püschel und Miltner, Institut f. Rechtsmed. Hamburg
„Hutkrempen-Regel“ nicht-akzidentell akzidentell Zeichnung nach Püschel und Miltner, Institut f. Rechtsmed. Hamburg
Frakturen innerhalb des ersten Lebensjahres sind als zugefügt anzusehen bis zum Beweis des Gegenteils Frakturen jenseits des ersten Lebensjahres kann man als akzidentell erworben ansehen bis zum Beweis des Gegenteils Wiederholte Frakturen in einem überschaubaren Zeitraum sind immer auffällig Faustregeln